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Eine gemütliche Couch, ein aparter Blick über Vilnius: besucht man den taiwanesischen Repräsentanten Eric Huang in seinem Büro im 16. Stock eines unscheinbaren Bürogebäudes, hat man nicht das Gefühl sich an einem der brisantesten Orte Litauens zu befinden. Tatsächlich schäumte Peking vor Wut, als Taiwan hier im Herbst 2021 das „Taiwanesische Repräsentationsbüro“ eröffnete. Normalerweise tragen Taiwans Vertretungen in Europa nur den Namen der Hauptstadt Taipeh. Dass Litauen eine andere Bezeichnung zuließ, wurde als klarer Bruch mit der „Ein-China-Politik“ gewertet und mit massiven Sanktionen bestraft.
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Ein Jahr nach Russlands Invasion in die Ukraine steht Litauen nun an zwei Fronten unter Druck – zusätzlich zum Ärger mit China lebt die frühere Besatzungsmacht Russland nebenan seine imperialen Machtfantasien aus. In Vilnius, 30 Kilometer von der Nato-Ostflanke entfernt, beobachtet man das mit Argwohn. Aber warum scheut man hier nicht die Konfrontation mit den Großmächten?
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WELT: Herr Huang, was ist der Unterschied zwischen ihrem „Representative Office“ und einer offiziellen Botschaft?
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Eric Huang: Wir unterhalten keine offiziellen diplomatischen Beziehungen mit Litauen, verstehen uns aber als „De-facto-Botschaft“ – auch, wenn wir uns nicht so nennen dürfen. Unsere Aufgaben sind aber dieselben wie bei einer normalen Botschaft auch.
WELT: Weiß das die litauische Regierung auch? Offiziell hält man sich – wie alle anderen EU-Länder auch – an die Ein-China-Politik.
Huang: Sie müssen zwischen den Grundsätzen und den politischen Leitlinien eines Landes unterscheiden. Letztere werden von den Staaten selbst nach ihren eigenen Interessen festgelegt. Sie können sich aber auch ändern. So kann sich die „Ein-China-Politik“ eines Landes von Chinas „Ein-China-Prinzip“ unterscheiden. China hält daran fest, dass Taiwan als „Prinzip“ Teil seines Landes ist. Was sich aber nicht zwangsläufig in die Politik anderer Länder übersetzt.
„Wir wussten, dass es Konsequenzen geben würde“
WELT: Warum ist Litauen mutiger als andere EU-Länder und lässt Sie ihr Büro unter ihrem Namen betreiben?
Huang: Es geht Litauen darum, Demokratie und Freiheit zu unterstützen. Das Land hat in der Sowjet-Ära selbst die Erfahrung gemacht, von einem kommunistischen Staat regiert zu werden. Diese Erinnerung ist noch immer im ganzen Land verankert. Als wir das Büro eröffneten, haben mir litauische Freunde gesagt, sie unterstützen Taiwan, weil sie sich dadurch selbst wieder jung fühlen. Sie würden nicht nur für Taiwan kämpfen, sondern auch für sich selbst. Tief in ihrem Herzen spüren sie, dass auch der Druck seitens Russlands größer wird, wenn sie nicht konsequent Demokratie und Freiheit verteidigen.
WELT: Infolge der Eröffnung gab es harte Sanktionen gegen Litauen. China hat den litauischen Botschafter des Landes verwiesen, es kam zu einem Wirtschaftsboykott: keine Milchprodukte, kein Bier, kein Rindfleisch mehr aus Litauen. Haben Sie damit gerechnet?
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Huang: Wir wussten, dass es Konsequenzen geben würde. Dass China als Teil der Welthandelsorganisation aber eine solch grobe Verletzung internationalen Rechts begeht, hatten wir nicht erwartet.
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WELT: Wie hart treffen die Sanktionen Litauen?
Huang: Meines Wissens sind Litauens Exporte im vergangenen Jahr sogar schneller gewachsen als zuvor. Das Land hat ohnehin bereits in der Vergangenheit versucht, sich unabhängiger von autokratischen Regimen zu machen. Kurz nach der illegalen Annexion der Krim ist Litauen aus russischem Gas ausgestiegen. Und 2013 hatte Russland infolge politischer Differenzen schon einmal Lebensmittel-Importe aus Litauen verboten, auch das war ein vielsagendes Signal für Litauen.
WELT: Freiheit und Demokratie sind schön und gut, aber könnte der Druck auf Sie nicht irgendwann zu groß werden, wenn Litauen zunehmend das Geld fehlt?
Huang: Die territoriale Unversehrtheit eines Landes ist unverletzlich – Litauen und die EU mussten infolge von Russlands Angriff tun, was getan werden muss. China war nie ein großer Handelspartner. Wirtschaftlich wendet sich Litauen schon länger dem Westen zu und befindet sich dadurch heute in einer besseren Position als viele andere Staaten.
WELT: Im Ukraine-Krieg wurde deutlich, wie gefährlich enge wirtschaftliche Beziehungen zu autoritären Staaten sein können. Ist Europa gegenüber China zu naiv?
Huang: Naiv würde ich es nicht nennen. Aber wir verstehen unseren Nachbar sehr gut: Das Allerwichtigste ist für China die Stabilität der Region sowie der innenpolitische Machterhalt. Sie sind Kommunisten, etwas anderes als Macht zählt nicht. Gerade steht China aber vor mehreren Problemen: Die Bevölkerung altert und schrumpft, die Produktivität stagniert, in ihren Lieferketten sind sie von vielen anderen Staaten abhängig. Das ist gefährlich, denn nur solange das Land wirtschaftlich wächst, wird das Regime vom Volk unterstützt. Um sich ihren eigenen Machterhalt zu sichern, will China sein Regierungsmodell in andere Länder exportieren.
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WELT: Erkennt Europa die Gefahr, die damit verbunden ist?
Huang: Europa weiß, wie bedeutend Taiwans Chips für die ganze Welt sind. Derzeit sorgt die Künstliche Intelligenz ChatGPT für Aufsehen – auch sie basiert letztlich auf Chips aus Taiwan. Sie sind in sämtlicher Technologie und auch Waffen verbaut. Würde man das immer noch zulassen, wenn die Chips von einem autokratisch geführten Land hergestellt würden? Früher hat man Wirtschaft und Politik streng getrennt. Jetzt sieht man, dass das nicht mehr möglich ist.
„China kann die Welt nicht mit einem dubiosen Plan täuschen“
WELT: Bewegt sich Deutschland in die richtige Richtung, was seine China-Politik angeht? Wir erinnern an die chinesische Cosco-Beteiligung im Hamburger Hafen.
Huang: Ich kann nur sagen, dass die Entscheidungen Deutschlands als Rückgrat der Europäischen Union von der ganzen Welt genau beobachtet werden. Jede Investition von chinesischen Unternehmen, die der Kommunistischen Partei unterstellt sind, sollte hinterfragt werden. Wir würden ein solches Investment in Taiwan nicht erlauben. Andere Situation, anderes Land, aber dennoch: Vor ein paar Jahren hat die litauische Regierung ein Investment Chinas in den Hafen von Klaipėda abgelehnt – wohlwissend, dass der Hafen eine wichtige Anlegestelle für Nato-Kräfte ist, sollte Litauen angegriffen werden.
WELT: Was sagen sie zu Chinas Zwölf-Punkte-Plan für den Frieden im Ukraine-Krieg?
Huang: Ich möchte das nicht kommentieren. Nur eine Frage meinerseits: Haben Sie in dem Papier irgendeinen konkreten Vorschlag entdeckt?
WELT: Warum hat sich China Ihrer Meinung nach mit diesem Vorstoß eingebracht?
Huang: China hat nur wenige Tage vor der Invasion in die Ukraine eine „grenzenlose Freundschaft“ mit Russland kommuniziert. China mag durch solche Vorstöße versuchen, sein Image zu verbessern. Aber es kann die Welt nicht mit einem dubiosen Plan täuschen.
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WELT: Erwarten Sie, dass China in den nächsten fünf Jahren einen Angriff auf Taiwan unternimmt?
Huang: Ich werde keine Prozentzahl nennen, aber die Chance ist da und sie ist nicht gering. Sie hängt auch im Wesentlichen davon ab, was in der Ukraine passiert. Falls die Unterstützung der westlichen Demokratien dort abnimmt, wird das China ermutigen.
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WELT: In der Vergangenheit sagte US-Präsident Biden, dass die USA Taiwan auch im Falle einer Invasion militärisch verteidigen würden. Üblicherweise werden solche Wortmeldungen danach sofort von Sprechern des Weißen Hauses eingefangen. Vertrauen Sie trotzdem auf diese Unterstützung?
Huang: Wir vertrauen unseren Verbündeten und erwarten, dass es Unterstützung seitens der USA geben wird. Über die Details möchte ich an dieser Stelle nicht sprechen, wir wollen diesen strategischen Freiraum beibehalten. Langfristig streben wir Sicherheitsgarantien an, aber wir sind natürlich pragmatisch. Daher bauen wir vor allem unsere eigene Verteidigung aus.
WELT: Könnte Russland im Falle einer Invasion Taiwans ein Verbündeter Chinas werden, so wie die USA es derzeit von Taiwan ist?
Huang: Dafür sind die beiden Beziehungen viel zu unterschiedlich. Taiwan und die USA sind eine Wertegemeinschaft, beide halten Demokratie und Freiheit sehr hoch. Dagegen führen Russland und China eine Zweckehe, denn Autokratien schmieden Allianzen, um zu überleben. Im Ukraine-Krieg lernt China aber gerade enorm viel von Russland.
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WELT: Was wäre das genau?
Huang: Einige Taktiken in der asymmetrischen Kriegsführung, zum Beispiel. Sie sehen genau, dass Russlands Truppen trotz zahlenmäßiger Überlegenheit lange nicht so effektiv agieren, wie es vorher eingeschätzt wurde. Vor allem aber hat man gelernt, wie entscheidend sich die Moral der ukrainischen Armee herausgestellt hat. In einem Krieg geht es eben nicht nur um Waffen.

WELT: China würde im Kriegsfall mit Sanktionen beladen und schwere wirtschaftliche Einbußen riskieren. Glauben Sie, solche Überlegungen werden dort rational eingeordnet oder überlagert das Ideologische mittlerweile die vorsichtige Abwägung?
Huang: Jedes Regime ist rational, allerdings setzen sie jeweils unterschiedliche Prioritäten in den Berechnungen ihrer Interessen. Während Demokratien vor allem an das Wohlergehen ihrer Bürger denken, hat in autoritären Staaten der Machterhalt des Regimes die allerhöchste Priorität. Wenn in China die Berechnungen ergeben, dass Taiwan benutzt werden kann, um die Macht des Regimes zu sichern, dann ist das also in dessen Betrachtung durchaus rational.
WELT: Was erwarten Sie von der Europäischen Union im Falle einer Invasion? Von Deutschland?
Huang: Die Europäische Union ist immer die Führungsmacht, wenn es um Freiheit und Demokratie geht. Wir erwarten, dass Länder wie Frankreich und Deutschland eine führende Rolle im Kampf darum einnehmen. Das Wichtigste derzeit ist aber, einen Kriegsausbruch zu vermeiden und geeinte Symbole zu senden.
WELT: Erwarten Sie im Ernstfall Waffenlieferungen, auch aus Europa?
Huang: Dann wäre jede Unterstützung willkommen.
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